Um ein Kind großzuziehen, braucht es bekanntlich ein ganzes Dorf – das lehrt uns ein nigerianisches Sprichwort, das inzwischen so ziemlich überall bekannt ist. Hat man mehrere Kinder, braucht man eigentlich eine Kleinstadt. Soweit die Theorie und der Ideal-Zustand.
Die Realität sieht jedoch oft anders aus – auch bei mir. Wenn wir mal ehrlich sind, habe ich nicht mal einen Weiler.

Bedingt durch meine eigene Biographie, die durch sehr viele Umzüge sowie Schul- und Hochschulwechsel geprägt ist, habe ich keine wirklich „guten alten Freunde“. Es gibt ein paar Bekannte, die ich schon über 20 Jahre kenne, aber darunter ist niemand, der im Alltag eine große Rolle spielt.

Seit gut acht Jahren lebe ich nun in Leipzig. Als ich mit dem Mittelkind schwanger war, wuchs der Wunsch nach etwas mehr Familiennähe und Unterstützung im Alltag – also zogen wir aus der oberbayerischen Provinz in die Stadt, in der die ganze Familie meines Ex-Mannes lebt.
Auch nach der Trennung blieb ich in Leipzig. Es ist eine sehr schöne, bunte Stadt mit viel Natur und allen Vorzügen einer Großstadt. Inzwischen haben die Kinder hier ihr soziales Netz und gerade fürs Großkind konnte ich hier ein gutes Hilfe-Netzwerk aufbauen. Zumindest was professionelle Hilfe angeht, sind wir wirklich gut versorgt. Ich selbst habe nach langer Suche einen Job, der mir sehr viel Spaß macht. Hier weg zu ziehen kommt also nicht in Frage – zumal ich woanders auch nicht mehr Unterstützung hätte.

Ich bin alleinerziehend mit drei Kindern, zwei davon mit Pflegegrad – das führt im Vergleich zu gesunden Kindern nicht nur zu zusätzlichen wöchentlichen Terminen, sondern auch zu zusätzlichen Sorgen und einem deutlich höheren Level an Mental Load.
Aktuell sind wir an vier Wochentagen Nachmittags wegen Hobbys oder Therapieterminen der Kinder unterwegs – so, dass wir erst zum Abendessen zu Hause sind. Auch, wenn meist nur ein Kind den Termin hat, müssen alle mit – denn ich kann weder die Kinder allein zu Hause lassen noch kann ich mich zerteilen.

Bei ihrem Vater sind die Kinder alle zwei Wochen von Samstag Vormittag bis Sonntag Nachmittag. Der Rest, inklusive Ferien und ähnlichem, liegt bei mir. Neunzig Prozent der Zeit verbringen die Kinder also bei mir, Tendenz steigend. Im Alltag spielt der Vater keine große Rolle und betreut die Jungs wenn überhaupt dann nur in Ausnahmefällen mal Abends, wenn ich zu einem Elternabend muss und die Großeltern keine Zeit haben.
Die Großeltern väterlicherseits wohnen zwei Häuser neben uns, was sehr praktisch und hilfreich ist. Die Jungs sind für gewöhnlich an einem festen Nachmittag in der Woche nach der Schule bis nach dem Abendessen bei den Großeltern. Wenn ich an diesem Wochentag mal lange arbeite (z.B. fünfmal im Jahr Supervision), kommt die Oma mit den Jungs rüber und macht sie schonmal bettfertig. Wenn dann mal wirklich Not am Mann ist, springen sie auch mal spontan ein, wenn sie Zeit haben. Dafür bin ich überaus dankbar! Dennoch plane ich mein Leben im Großen und Ganzen so, dass ich im Notfall auch allein klarkommen würde – und sehe alles andere als Bonus.
Ich bringe die Kinder zur Schule und hole sie ab. Ich koordiniere Termine, kümmere mich um Therapien und Verordnungen, begleite zu Therapien und Hobbies. Ich organisiere und begleite die Kindergeburtstage meiner Kinder und besorge Geschenke, wenn meine Kinder woanders eingeladen sind. Ich begleite unruhige Nächte und Krankheiten. Ich mache mit den Kindern kleine und große Ausflüge und fahre mit ihnen in den Urlaub. Meine Arbeitszeiten und im Grunde mein ganzes Leben richtet sich nach den Kindern.

Der Alltag allein mit den Kindern plus Arbeit kostet ziemlich viel Energie. Nebenbei will auch der Haushalt noch gemacht werden – und wenn man jeden Tag mit den Kindern bis Abends unterwegs ist, ist es gar nicht so leicht, mit Wäsche und Co. hinterher zu kommen.
Natürlich könnte man auch sagen: Na, dann such dir doch Hilfe. Nette Idee – aber wo soll die herkommen? Aus dem persönlichen Umfeld sicher nicht. Abgesehen davon, dass professionelle Hilfe bezahlt werden möchte, kostet es auch erstmal Zeit und Energie, die passende Hilfe zu finden – und beides habe ich aktuell nicht.
Also wuppe ich unseren Familienalltag weiter allein – und ziehe mich sozial zurück, weil meine Energie nicht auch noch für ein Sozialleben reicht.
Ich nutze meine Energie lieber für meine Kinder – und nicht mehr um dafür zu sorgen, dass andere Menschen Teil des Lebens meiner Kinder sind. Wer an ihrem Leben teilhaben möchte, kommt von selbst.

Auch wenn ich es mir sicher anders vorgestellt hätte, mag ich mein Leben.
Ich bin absolut fein damit, die Kinder nahezu allein groß zu ziehen – und ich finde es unglaublich schön, wie die Kinder und ich in den letzten Jahren nochmal viel mehr zusammengewachsen sind.
Da ich die meiste Zeit mit den Kindern verbringe, darf ich auch sehr viele schöne Momente mit den Jungs erleben. Immer öfter verlasse ich die Komfortzone und wage immer mehr Abenteuer allein mit den Jungs. Wir machen Tagesausflüge und waren dieses Jahr auch zum ersten Mal zu viert im Urlaub.

Ich bin glücklich. Es ist gut so, wie es ist. Ich bin stolz auf das, was ich schon geschafft habe, und auf alles, was noch kommt.
Was ich mir aber wünschen würde, wäre mehr Anerkennung für das, was ich leiste. Für das, was wir Alleinerziehenden leisten. Auch wenn unsere Community und Lobby in den letzten Jahren gewachsen ist, müssten wir noch viel sichtbarer werden und viel offensiver für unsere Rechte kämpfen.
Den meisten von uns fehlt dafür aber schlicht und ergreifend die Energie.
Denn viele von uns können gut und gerne sagen: Ich bin das Dorf!

 

Dezember 2023